Ein paar Fragen an Bernhard Wolf 
Katrin Rosalind Bucher Trantow

Katrin Bucher Trantow/KBT:
Anfang Mai 2015 haben wir im rückseitigen Innenhof des Kunsthauses eine Arbeit von dir eröffnet, die Licht in ein dunkles Eck zu bringen verspricht. Es handelt sich um eine Auftragsarbeit, die sich einem bestimmten Ort widmet: Der Raum, um den es geht, ist auf der einen Seite begrenzt von der biomorphen, von Archigram geprägten Kunsthaushülle und den barocken Gebäuden, in denen das Haus der Architektur und ein Teil der Büros des Universalmuseums angesiedelt sind. An der letzten Ecke schließt das 2003 neu gestaltete Eiserne Haus – von der Camera Austria, einer weiteren Kunstinstitution, genutzt – den Hof ab. Der Hof ist im Sinne Marc Augés ein Non-lieu, ein Ort ohne eigenen Charakter. Es ist ein klassischer Zwischenraum, verwinkelt und als Passage genutzt, der im Durchschreiten fast nur durch die Klimaveränderung aufgefallen ist. Seine Eigenschaft als kürzester Weg und als ruhiger Ort verlangte nach einer Sichtbarmachung, einer Wahrnehmungsveränderung und einer damit verbundenen Aufwertung. Deine Arbeit richtet über einen Spiegel Licht in den Hof. „If you don‘t give the mind something to do, the mind will give you something to do” trägt dem wohl in gewissem Sinne Rechnung. Höre ich hier mitunter auch einen gewissen ironischen Unterton, der im kuratorischen Wunsch einer Nutzbarkeit einen bestimmten Witz entdeckt? Was steckt in diesem Wortspiel, das interessanterweise etwas verfremdet in einer weiteren Auftragsarbeit – in dem Fall ein Gestaltungsauftrag für einen langen Gang der Kulturabteilung des Landes Steiermark – erneut auftaucht: „You don‘t see things the way they are, you see them the way you are“?

Bernhard Wolf/BW:
An der Arbeit mit Raum interessiert mich, dass Veränderungen der Gesamtstimmung relativ schnell durch Eingriffe erzeugt werden können. Eine vertraute Situation wird aus ihrer Eindeutigkeit herausbefördert und ist im besten Fall dann auf mehreren Ebenen wahrnehmbar. Fast so, als ob die betrachtende Person eine Situation aus frei gewordenen Einzelteilen selbst zusammenstellen und so für sich einen neuen Blick auf die Welt erzeugen kann. In spirituellen Systemen sind oft ähnliche Techniken am Werk, die unsere materielle Welt scheinbar mühelos umdeuten. Beide Projekttitel sind den Reden von Sacinandana Swami entnommen, einem Lehrer in der vedischen Bhakti-Yoga-Tradition. Mir gefällt daran der subtile Witz, der fixe Ich-Vorstellungen des Individuums ins Absurde führt. In beiden Projekten war die künstlerische Aufgabe eine ähnliche – nämlich mit Räumen zu arbeiten, die in sich selbst festgefahren waren. Im Kunsthaus ein Lichthof, der immer im Schatten liegt, und in der Landhausgasse eine sperrige Gangarchitektur voller Kabelkanäle und enger Proportionen. In ersterem Fall habe ich versucht, mit einer grafischen Marke und Sonnenlicht eine Aufhellung zu bewirken, im zweiten Fall half nur ein starkes Gegengewicht in Form von mehr oder weniger üppigen Designertapeten.

KBT:
In deinen Arbeiten bedienst du dich immer wieder einer
städtischen und baukulturellen Informationskultur, nimmst sie auseinander und verfremdest sie, sodass in der Irritation, wie z.B. in deinen überraschenden, von der Op-Art inspirierten Wandarbeiten auf den „Leinwänden“ großer, städtischer Feuerwände, bildstarke Manifeste für die Mittel und die Macht der der Gestaltung entstehen. Ich denke dabei immer wieder auch an die einflussreichen grafischen Entwicklungen, die Anfang des letzten Jahrhunderts den Aufbruch des Volkes in unterschiedliche Richtungen prägten. Z.B. an Figuren wie den großen Piktogrammerfinder Otto Neurath oder natürlich die konstruktivistischen, russischen Bilderfinder wie El Lissitzky oder Malewitsch. Gibt es eine Verbindung zu diesen Vorläufern und wenn ja, was verbindet dich mit den sozialpolitischen Ideen dieser Figuren?

BW:
Kommunikation über einfache Elemente wie Logos oder Slogans hat mich immer fasziniert. Da landet man fast zwangsläufig bei Otto Neurath oder den russischen KonstruktivistInnen,  
wie Rodtschenko/Stepanowa. Umso besser, wenn diese damals neuartigen Bildsprachen auch einem sozialpolitischem Zweck, der raschen Erfassbarkeit von ökonomischen Machtverhältnissen, und somit einer Bewusstseinsbildung gedient haben. Heute ist vielleicht der Notstand einer zunehmenden Ungleichverteilung von Wohlstand wieder ähnlich, die mediale Landschaft in ihrer Omnipräsenz hat jedoch eine andere Qualität. Ich halte die gegenwärtige öffentliche Kommunikation über Werbung, Ankündigungen etc. im Kern für Manipulation, die uns in diverse Zustände der Unruhe zu befördern versucht. In so einem Kontext stellt sich die Frage, welche Signale ich als Künstler in den öffentlichen Raum einspeisen möchte. Mir geht es vor allem darum, einen Freiraum zu erzeugen. Ich versuche dies durch Irritationen – grafischer Natur oder durch spezifische Materialien – zu erreichen. Dass der automatisierte Blick mal kurz herunterbremst und ins lockere Assoziieren kommt. Die Motive für das Assoziieren wähle ich in mehreren Arbeitsgängen aus und übe mich in Reduktion und Leichtigkeit, wobei ich auch vor Nonsens nicht zurückschrecke. Signale mit negativem Spin scheiden meistens aus, so stark manche Ideen im Atelier auch wirken mögen. Dabei war für mich die Zeit an der Freien Akademie Moskau in den 1990ern bei Aleksandr Petljura prägend. In der damaligen, einigermaßen wilden künstlerischen Praxis wurde oft maximaler Ausdruck über Reduktion erreicht, und dabei meistens eine spielerische Note bewahrt. Das Spiel zwischen Bild und Sprache und der minimalistische Gestus finden sich auch im Moskauer Konzeptualismus der 1970er und 1980er Jahre. Einer meiner Favoriten ist z.B. die Arbeit „Palec/Finger“ von Andrej Monastirskij, wo die betrachtende Person animiert wird, den eigenen Finger durch eine Kartonbox in Augenhöhe zu stecken und als Kunstobjekt zu betrachten. Einfacher und treffender geht’s nicht mehr. Auch die Spracharbeiten von Jenny Holzer im öffentlichen Raum haben mich beeinflusst, wobei sich hier für mich schon eine Grenze auftat, da einige Arbeiten bei Holzer für mich ins negativ Formulierte gleiten. Eine Linie, die ich nur überschreiten möchte, wenn es der Zweck verlangt. Dabei wird oft eine Bedeutung generiert, die die aufdringliche Tendenz der öffentlichen Zeichen eher kopiert, anstatt sie zu brechen.

KBT:
Ja, es ist eine Eigenschaft deiner Arbeiten, nicht laut zu sein. So sehr sie sich auch visuell in den Vordergrund drängen, so sind sie inhaltlich eher subtil, leise gar. Da denke ich etwa an die großflächige Wandarbeit (die es auch als kleine grafische Varianten auf Papier gibt) KRAFTWERK aus der Projektserie „In Alle Netze“, die du in Zusammenarbeit mit dem Institut für Kunst im öffentlichen Raum 2013 in Graz verwirklicht hast. Da war ein Faktor der Überzeugungskraft der Arbeiten ihr geradezu privates Entdecken. Ein solches Entdecken findet jetzt auch in der Weiterführung der Arbeit im Kunsthaus statt, wenn du in einem Verbindungstrakt der Zahnklinik des LKH Graz die Farbfläche, die Sonnenlicht in einem engen Hof auffangen und spiegeln soll, als vertikalen Farbkreis durch die Wand in ein Stiegenhaus durchzudrücken scheinst. Und nur die wirklich Aufmerksamen diesen auch zwischen Handlauf und Fensterfläche entdecken. Die aber, denen das gelingt, werden gerade an der Subtilität ihre Entdeckerfreude haben. Ein Teil der leisen Eigenschaft deiner Werke liegt wohl daran, dass du zwar Freiflächen findest, diese aber nicht weiter behandelst, sie roh belässt, und nur mit den dort üblichen Materialien und Farben bearbeitest. So auch in der Arbeit im Hof des Kunsthauses, wo du über einen Spiegel am Dach, der an eine gängige Sat-Schüssel erinnert, das Sonnenlicht einfängst und auf einen Kreis aus Bodenmarkierungsfarbe richtest. Deine verwendeten Materialien beziehen sich also immer auf den Ort. Dabei gehst du vor wie ein Handwerker. Du strebst dabei nach einer bestimmten Perfektion und bist nicht immer nur modernistisch pur, sondern an die Bedingungen des Materials angepasst. Was ist dein Verhältnis zum Handwerk dabei?

BW:
Handwerk ist für mich vor allem Mittel zum Zweck. Und wenn es der Zweck verlangt, darf es auch mal Richtung Perfektion gehen. Am wichtigsten erscheint es mir, den Charakter eines Ortes zu erfassen, seine Essenz aus Proportionen, sozialen Codes, Nutzbarkeit, Geschichte etc. Wie du bemerkt hast, versuche ich in meinen Arbeiten, so plakativ sie oft daher kommen mögen, auch eine gewisse Zurückhaltung. Dies gilt sowohl für die Installationen wie im Kunsthaus oder im LKH, als auch für die Auswahl der Wände für die Malereien im Außenraum. Ich möchte den vorhandenen Ort nie zu stark überlagern oder komplett verfremden. In der richtigen Balance dabei, finde ich den für mich stärksten künstlerischen Ausdruck. Daher auch die zum Ort passenden Materialien. Manche Arbeiten sind überhaupt nur temporäre Gäste und verschwinden wieder von selbst, wenn sich zum Beispiel der Ort verändert, und das ist mir sehr sympathisch. Dass künstlerische Äußerungen nicht zwangsläufig einer Restauration anheimfallen, sondern auch ganz normal den Weg aller Dinge gehen können.

KBT:
Judith Laister nennt deine Werke, in Anlehnung an Bruno Latours Quasi-Objekte, Quasi-Icons und macht damit deutlich, dass es dir darum geht, den Zwischenraum der Definitionen und der offenen Zuschreibung „in alle Netze“ zu ermöglichen. Heißt das, dass deine Arbeiten sich entziehen? Sich der Zuschreibung also verweigern?

BW:
Genau. Ein Ziel meiner Arbeit ist, auf den ersten Blick keine eindeutige Lesbarkeit herzustellen. Aber nicht, weil ich das geschätzte Publikum in ein verschlüsseltes Konzept entführen will, wo man sich dann bei Interesse zur eigentlichen Aussage des Künstlers vorarbeiten kann, nein, sondern weil es auch für mich viele Lesbarkeiten gibt. Die Hauptintention ist es, der Vorstellungskraft Platz zu schaffen. Sozusagen die Deutungshoheit über den von anderen Zeichen überladenen öffentlichen Raum wiederzugewinnen. Ähnlich wie innovative Streetart vorgeht, die durch ihre Bearbeitungen völlig andere Bilder an sonst vertrauten Orten entstehen lässt. So fertige ich auch meine Arbeiten. Verschiebe Wort/Bildkombinationen solange, bis der Inhalt Mehrdeutigkeit bekommt. Bei mir landen viele Entwürfe im Ausschuss, weil sie mir zu einfach, zu verschroben, oder einfach zu banal erscheinen. Nur wenn ich bei der Betrachtung selbst mit meinen Wertungen innerlich ins Schwimmen komme, bleibe ich an einer Arbeit dran. In Verbindung mit dem Ort entfalten sich die Motive dann erst richtig, also bleibt oft bis zum Ende das Risiko, ob der erwünschte Effekt eintritt.

KBT:
Zum Abschluss: Du sprachst vorher von einer gesellschaftlichen Unruhe, von einem bewussten Beunruhigen gar, wenn ich dich richtig verstanden habe. Unsere Gesellschaft zeichnet sich gerade heute durch eine Unruhe aus, die sich in alle Lebenslagen einschleicht, die ganz unterschiedliche Gründe hat, und von Überinformation, Schuldgefühl des reichen Westens, bis hin zum spirituellen Glaubensverlust reicht, und die sich in einer bestimmten Unsicherheit der Identitätsdefinitionen äußert. Ist es diese Unruhe, die du (auch) meinst, wenn du von den manipulativen Eigenschaften des kapitalistischen (Vor)-Bildmachens in der Werbung sprichst?

BW:
Die Unruhe in deinen treffenden Beispielen halte ich für eine Folge der aus kommerziellen Gründen geschürten Unruhe. Die Initialzündung für Manipulation ist wahrscheinlich die Botschaft: „Du genügst nicht“. Und die begegnet mir oft im öffentlichen Raum. Jedes authentische Signal hingegen, das mit guter Intention im Stadtraum auftaucht, bekommt meinen Applaus.

Katrin Rosalind Bucher Trantow, Chefkuratorin,
Kunsthaus Graz, Universalmuseum Joanneum, Österreich