Ilona M. Otto
Auch die Mittelschicht muss reduzieren

Ilona M. Otto, Wegener Center für Klima und Globalen Wandel, Universität Graz, im Gespräch mit Thomas Wolkinger.

Interview zur Ausstellung „Fuck the Solar System/Burning Down the House“, QL-Galerie, steirischer herbst 23

Die Soziologin und Ökonomin Ilona M. Otto über gerechte Wege in eine klimapositive Zukunft, die Verantwortung der Superreichen und darüber, dass Weniger wirklich Mehr sein kann.

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Ilona M. Otto hat sich nach Studien der Soziologie und der Wirtschaftswissenschaften u.a. in Poznań und Berlin an der Humboldt Universität habilitiert, hat von 2010 bis 2019 am renommierten Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung geforscht und gearbeitet und ist seit Juli 2020 Professorin für Gesellschaftliche Auswirkungen des Klimawandels am Wegener Zentrum für Klima und Globalen Wandel der Universität Graz. Zu Ihren Forschungsschwerpunkten zählen Klima-Risiken, Klimagerechtigkeit, der Zusammenhang zwischen Klimawandel und Gesundheit sowie „Soziale Kipppunkte“, also die Frage, welche Interventionen in das globale sozioökonomische System das Potenzial haben könnten, disruptive Wandelprozesse auszulösen, um dadurch die Pariser Klimaziele doch noch zu schaffen.

Leseempfehlung:Otto, I. M. et al. (2020). Social tipping dynamics for stabilizing Earth’s climate by 2050. Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America, 117(5), 2354–2365.
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Sie forschen zu den Wechselwirkungen zwischen Gesellschaft und Erdsystem. Wer hat zurzeit die Oberhand? Steuern wir den Planeten in die richtige Richtung oder fliegt uns, wie es der Politikwissenschaftler Reinhard Steurer gesagt hat, die Physik gerade um die Ohren?

Ilona M. Otto: Die Erde wird weiter existieren. Auch wenn die CO2-Emissionen zunehmen, die Biodiversität abnimmt. Aber es geht ja um uns Menschen: Es ist tragisch, dass wir unsere Lebensgrundlagen zerstören. Diese natürlichen Systemen, aus denen wir unser Essen, all unsere Ressourcen beziehen. Es wird immer schwieriger werden zu überleben. Alles wird teurer und wir sehen schon jetzt, was das bedeutet. Viele Menschen sind unzufrieden. Wer Hunger leidet oder unter Stress steht, sitzt nicht herum und wartet, bis er stirbt. Wer unzufrieden ist, der protestiert oder geht woanders hin. Das hat viele Konflikte und Spannungen zur Folge. Das wird das Ende des Systems bedeuten, wie wir es kennen. Wahrscheinlich werden manche Menschen überleben. Aber das Leben wird nicht angenehm sein. Und darum müssen wir alles tun, um die schlimmsten Folgen zu vermeiden.

In der Gesellschaft scheint dennoch vielfach das Gefühl vorzuherrschen, der Mensch sitze am Lenkrad und könne – die richtigen Technologien vorausgesetzte –, die Erde wie ein Raumschiff in eine bessere Zukunft steuern. Woher kommt diese Illusion?

Es gibt diese Technologie-Narrative. Dass irgendwelche technologischen Lösungen kommen und uns retten werden. Dabei haben wir diese Wundertechnologien schon, es geht vielmehr um die Implementierung und um eine bessere Aufteilung von Ressourcen und Energie. Momentan liegt das Problem darin, dass eine sehr kleine Gruppe von Menschen in einer privilegierten Position viel mehr Energie und Ressourcen verbraucht als die große Mehrheit. Diese Menschen haben auch entscheidenden Einfluss darauf, was passiert. Das Problem liegt in der Agency, in der Wirksamkeit. Entscheidungsträger in Politik oder Wirtschaft haben eine höhere Agency als zum Beispiel ein Bauer in Pakistan. Wir sitzen eben nicht alle am Lenkrad. Es sind nur wenige, die das tun, und die befinden sich in einer sehr privilegierte Position. Sie profitieren vom System und verstehen vielleicht auch noch nicht, was am Spiel steht. Oder sie denken, dass sie sich mit Geld schon Lösungen kaufen können. Ich habe gehört, dass einige Superreiche schon Bunker bauen, Schutzorte auf irgendeiner Insel.

Oder am Mars.

Auf den Mars können gerne alle fliegen! Das wäre vielleicht eine Lösung. Aber ob sie das wirklich wollen, für immer in geschlossenen Räume zu leben, wenn eine Katastrophe kommt? Es wird sehr schwer, sich da zu verstecken. Alle, die Agency haben, sollten das realisieren und alles tun, um eine Katastrophe zu verhindern.

Bevor wir noch einmal zur Verantwortung der Superreichen kommen, würde ich gerne über Soziale Kipppunkte sprechen, ein Konzept, das sie in einer vielbeachteten Publikation1 2020 ausgearbeitet haben. Sie haben dafür Expert:innen danach gefragt, welche Maßnahmen sie als besonders effektiv oder „ansteckend“ in Bezug auf eine klimapositive Entwicklung einschätzen. Genannt wurden CO2-Labels für Produkte, CO2-neutrale Städte, eine Dezentralisierung des Energiesystems, ein Divestment aus fossilen Unternehmen und – längerfristig – Änderungen des Bildungs- oder überhaupt unseres Normensystems. Gerade haben Sie aber negative Kippdynamiken angesprochen: soziale Unruhen oder Massenmigration, falls es nicht gelingt, die Katastrophe einzudämmen.

Diese negative Kippdynamiken können auch mit positiven verbunden sein. In der Corona-Pandemie war plötzlich alles möglich, weil alle derart viel Angst hatten, dass die Politik weitreichende Maßnahmen beschließen konnte. Alle haben mitgemacht, um die Pandemie zu bekämpfen. Man kann sich auch vorstellen, dass nach großen Umweltkatastrophe der Schock so groß ist, dass positive Änderungen schneller durchgesetzt werden können.
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I. M. Otto et al., “Social tipping dynamics for stabilizing Earth’s climate by 2050”, Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America, 117(5) (2020): 2354–2365.
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Aber so einen Wandel wünscht man sich natürlich nicht.

Es muss nicht so kommen. Es wäre besser, wenn die, die wenig Agency haben, jetzt den Druck auf der Straße aufbauen. Auch die Proteste und Aktionen der Letzten Generation

und von Fridays For Future versuchen, Druck auf Entscheidungsträger auszuüben, damit endlich etwas passiert. In Graz haben wir jetzt einen Klimabeirat. Auch da diskutieren wir mit lokalen Entscheidungsträgern: Was kann man tun? Auf vielen Ebenen ändert sich etwas, aber andere wollen noch nichts davon hören, versuchen, den Wandel zu stoppen oder zu bremsen. Dahinter stecken Interessen. Und dann gibt es auch noch viele Formen von Greenwashing.

Die Befragungen für das Tipping-Points-Paper haben Sie bereits 2017 durchgeführt. Würden die Expert:innen heute substanziell anders antworten?

Das kann sein. Das Gesundheitssystem könnte ein weiterer Kipppunkt sein. In Deutschland gibt es jetzt die Deutsche Allianz Klimawandel und Gesellschaft (KLUG), also eine Organisation für Ärzte, die sich für Klimawandel interessieren und die versuchen, bewusster zu machen, dass unsere Gesundheit sehr eng mit Klima verbunden ist – im Sinn einer „Planetary Health“. Eine weitere Entwicklung, die damals noch nicht so richtig absehbar war, ist der Rückgang des Fleischkonsums. Immer weniger Menschen essen Fleisch oder tierische Produkte. Das ist vielleicht auch ein bisschen „ansteckend“ – unter Freunden oder am Arbeitsplatz.

In Bezug auf die Energiewende schrieben Sie damals, dass hier ein Kipppunkt unmittelbar bevorstehen könnte. Wie sehen Sie das heute?

Ich glaube, man kann sagen, dass wir im Energiesystem den Kipppunkt vielleicht schon erreicht haben, wenn man auf Preise von erneuerbaren Energiequellen schaut. In den meisten Weltregionen ist erneuerbare Energie günstiger als fossile Energie. Ein anderes Beispiel: Wer jetzt ein neues Haus baut, überlegt sich sicher nicht mehr, noch eine Öl-Heizung einbauen. Die Wärmepumpe ist wohl die beste Lösung. Aber es muss alles noch schneller gehen, obwohl gerade unglaublich viel passiert.

Andererseits hat die Bevölkerung im obersteirischen Ort Gaal heuer einen Windpark aus ästhetischen Gründen abgelehnt.

Es ist ein Auf und Ab. Wir werden erst rückblickend in einigen Jahren sagen können: Ja, das war der Kipppunkt und seither hat sich alles verändert. Heute ist das sehr schwer zu beurteilen, weil wir selbst Teil des Systems sind. Das ist ähnlich wie bei der politische Transformation in den 1990er-Jahren. Sogar noch nach dem Mauerfall war die Entwicklung schwierig einzuschätzen. Kommt das kommunistische System zurück oder nicht? Wie verändert es sich? Erst nach Jahren kann man sagen, okay, das war die Wende.

Sie haben untersucht, wodurch soziale Kippdynamiken möglicherweise ausgelöst werden. Aber wie genau verlaufen gesellschaftliche Veränderungsprozesse, welche Faktoren begünstigen eine „Ansteckung“?

Das ist eine Frage, die Psychologen besser beantworten können. Wir beschäftigen uns aber auch mit Netzwerken und Netzwerkstrukturen, die für die Verbreitung wichtig sind.

Es gibt Studien, die zeigen, dass manchmal soziale Innovationen gar nicht im Zentrum von Netzwerken entstehen sondern in peripheren Regionen.

Damon Centola hat das anhand von Twitter-Öffentlichkeiten erforscht.

Innovation verbreiten sich aber schneller, wenn sie auch zentrale Akteure erreichen, Celebrities, Influencer, Role Models. Neue Tendenzen entstehen auch durch Künstler oder Studenten. Und natürlich funktionieren diese Prozesse auf Finanzmärkten anders als wenn es um die Frage geht, wie sich die sozialen Normen und Gesetze einer Gesellschaft ändern. Da hat man andere Akteure, andere Strukturen, Informationskanäle und andere Zeitskalen.

Centola schreibt, dass man für längerfristige Verhaltensänderungen 25% der Bevölkerung gewinnen muss.

Man braucht eine kritische Masse. Das kann auch eine „committed minority“ sein, kleine Gruppen, die sich durchsetzen und sehr motiviert und sehr aktiv sind. Das gilt aber nicht nur für die Klimabewegung, sondern zum Beispiel auch für rechtspopulistische Bewegungen.

Die Letzte Generation bezieht sich auf Untersuchungen der Politikwissenschaftlerin Erica Chenoweth, die wiederum sagt, dass ziviler Protest erfolgreicher ist als gewaltsamer und dass er tendenziell erfolgreich ist, wenn es gelingt 3,5 % der Bevölkerung zu mobilisieren.

Diese Studien zeigen, dass für zivilen Ungehorsam sogar weniger Menschen genügen. Aber natürlich dürfen die nicht auf der Couch sitzen sondern müssen alle auf die Straße gehen, um aktiv zu protestieren. Der Erfolg hängt auch von der Antwort des Staates ab, also ob Polizei oder Armee einen Protest auflösen. Viele bekommen in so einem Fall Angst und geben auf, wie zum Beispiel in Weißrussland nach der Wahl 2020. Die Proteste hörten auf, weil es zu viel Repressionen gab und die Menschen ihr Leben riskierten. Manche sind jetzt im Ausland, manche im Gefängnis. Es kann aber sein, dass sich die Situation wieder ändert, dass die Menschen dann wieder aktiv werden. Es ist natürlich noch nicht alles verloren.

Wie schätzen Sie heute das Kipp-Potenzial der Aktionen der Letzten Generation, von Fridays For Future oder Extinction Rebellion ein?

Die Bewegung ändert sich, heute ist die Letzte Generation besonders präsent. Ich glaube, alle diese Bewegungen haben etwas gebracht. Fridays For Future war zu Beginn sehr wichtig, aber mit Corona und dem Krieg in der Ukraine war die soziale Aufmerksamkeit dann woanders. Die Letzte Generation hat neue Formen entwickelt, die ein bisschen radikaler sind, den Alltag stärker beeinflussen. Ich verstehe natürlich die Frustration von Menschen, die im Auto sitzen und nicht weiterkommen. Aber ich habe auch mit den Aktivisten geredet und die sehen oft keine andere Möglichkeit. Sie haben nicht viel Geld, sind insgesamt wenige und versuchen daher Aktionen zu machen, die relativ einfach zu organisieren sind und in den Medien landen. Und das funktioniert. Wir haben mit einer Gruppe von Studenten Veröffentlichungen in der Presse und im Standard analysiert. In den letzten Monaten gab es jedenfalls eine höhere Anzahl von Berichten, die zwar anfangs oft negativ, andererseits zusehends auch positiver waren. Die Veröffentlichungen haben auch zusehends mehr über Klimawandel berichtet. Das zeigt, dass der Protest wirksam ist.



Was können Bewegungen wie die Letzte Generation aus Theorien sozialen Wandels lernen?

Dass normative Änderungen sehr wichtig sind. Die Menschen müssen realisieren, dass es für uns, für unsere Gesundheit und für unsere Kinder schlecht ist, wenn wir fossile Brennstoffe verbrennen. Wenn ein Verhalten oder ein Produkt als unmoralisch beurteilt wird, dann wird die moralische Ebene wichtiger als zum Beispiel der Preis. Produkte, die mit Kinderarbeit hergestellt werden, mögen billiger sein, aber wer nicht will, dass Kinder leiden, der zahlt auch mehr. Was noch was wichtig ist: Dass man versucht, auch die Politik zu ändern, indem man zum Beispiel selbst eine politische Partei gründet. Wir brauchen strukturelle Änderungen, Gesetzesänderungen. Und dazu muss man mit dem Gesetzgeber reden oder Gesetzgeber werden. Änderungen müssen in Gesetze umgesetzt werden, damit sie von Dauer sind. Es muss natürlich nicht alles sofort passieren, aber man könnte damit beginnen vorzuschreiben, dass alle neuen Heizungen auf erneuerbaren Energien basieren müssen. Oder dass ab 2035 keine Autos mit fossilen Verbrennern mehr verkauft werden dürfen.

Social Tipping Points zielen im Wesentlichen darauf ab, zu untersuchen, welche Veränderungen das größte Ansteckungspotenzial in Bezug auf die Dekarbonisierung haben, damit wir das Pariser 1,5-Gad-Ziel vielleicht doch noch halten. Wie gerecht ist das Pariser Klimaziel eigentlich?

In sich selbst ist es gerecht, weil es zukünftige Generationen und Menschen, die stark vom Klimawandel betroffen sind, schützen will. Eine andere Frage ist, wie wir dorthin auf Wegen kommen, die gerecht sind. Privilegierte Menschen haben viel höhere Emissionen als andere. Zugleich gibt es Menschen, die Hunger leiden oder überhaupt keinen Zugang zu Elektrizität haben. Zunächst ist es wichtig, dass niemand Hunger leidet, besonders Kinder nicht. Kinder, die Hunger leiden, leiden darunter ihr ganzes Leben. Natürlich ist es auch wichtig, alle anderen Mindeststandards zu erreichen, also auch Wohnraum für alle. All das schaffen wir nur, wenn die Privilegierten etwas aufgeben, auch die Mittelschicht muss reduzieren. Ich habe dazu mit Kollegen ein Paper geschrieben: Wenn wir den Lebensstandard der Ärmsten erhöhen, dann bedeutet das – abhängig vom Szenario – ein Mehr an Emissionen von 2 bis 26%. Das können wir uns nicht leisten.

Die Gerechtigkeitsdebatte scheint mir mit all ihren Konsequenzen noch nicht angekommen zu sein, oder?

In der Wissenschaft schon, da gibt es immer mehr Veröffentlichungen dazu. Und viele Menschen spüren, dass unsere Gesellschaft ungerecht ist. Und dass Ungleichheit zusammenhängt mit der Transformation und dem Klimawandel. Vielleicht kann man beide Probleme adressieren, indem man versucht, die Ressourcen gerecht zu verteilen und dadurch auch die Auswirkungen auf die Natursysteme geringer zu machen.

Auch der Ökonom Thomas Piketty sagt, dass es zuallererst um soziale Gerechtigkeit gehen muss, erst dann wird man die Klimafrage lösen. Und die Superreichen tragen durch ihren Lebensstil überproportional zu den globalen Emissionen bei – aktuell steigt dieser Anteil sogar noch weiter. Warum ist Verteilungsgerechtigkeit so schwierig herzustellen?

Es geht um Statussymbole. Wir wollen uns von anderen unterscheiden. Das kann man grundsätzlich mit verschiedenen Mitteln erreichen. In unseren Gesellschaft ist es leider so, dass diese Statussymbolen sehr stark an Energie- und Ressourcenkonsum hängen: Privatflugzeug, überhaupt Fliegen, große Autos, große Häuser. Und wenn einer diese Dinge hat, finden das die anderen cool und wollen sie auch haben. Ich weiß, dass wir nicht alle gleich sein können. Aber vielleicht können wir wenigstens andere Mittel finden um uns zu unterscheiden. Dass es also mit Status verbunden wäre, wenn man ein Buch geschrieben hat oder Community-Arbeit leistet. Aus der Vergangenheit gibt es viele Beispiele, wo Status anders definiert war.

Es empört sich niemand gegenüber den Superreichen, weil alle selber superreich werden wollen.

Genau.

Was sind denn da für Kipppunkte denkbar?

Na ja, auch vielleicht soziale Normen in Bezug auf Erfolgssymbole.

SUV-Shaming?

Ein bißchen Shaming. Es liegt an uns. Zum Beispiel: Wer in sozialen Medien über einen Urlaub in Thailand postet, kriegt Likes. Vielleicht sollten wir uns besser überlegen, wem wir folgen und unsere Likes geben? Wir betreiben das alle. Natürlich gibt auch gute Influencer, die Wissen vermitteln oder Politik. Aber viele Inhalte sind einfach schädlich. Zum Beispiel gibt Videos nach dem Schema: „Das passiert, wenn man mit einem Auto über das neuesten iPhone fährt. Huh, Crash, guck mal, ist jetzt kaputt.“ Und Kinder denken, dass das normal ist. Oder dass es normal ist, in Villen zu wohnen, einen Swimmingpool zu haben und Porsche zu fahren. Das sollte auch verboten sein, es ist gesellschaftlich schädlich, vielleicht brauchen wir eine starke Regulierung sozialer Medien.

Ein Luxusverbot in Medien? Ist das nicht schwierig durchzusetzen?

Ein Werbeverbot wäre denkbar – für Produkte, die fossile Brennstoffe benötigen.

Werbebeschränkungen für klimaschädliche Produkte hat im Vorjahr auch die österreichische Bioethikkommission gefordert.

Auch die Werbung für Alkohol oder Zigaretten ist ja reguliert.

Aber steckt fossiler Lebensstil nicht in jedem Produkt?

Ein Werbeverbot wäre ein erster Schritt. Man könnte auch die Algorithmen sozialer Medien regulieren. Momentan bekommt man da nur Vorschläge, die auf Ähnlichkeiten basieren. Wer einmal einen Film mit einem Influencer und so einem Lebensstil geschaut hat, kriegt noch mehr derartige Filme angeboten. Vielleicht könnte man das ändern, indem Algorithmen mehr zufällige Vorschläge machen müssten.

Was halten Sie im Zusammenhang mit ungerechter Vermögens- und Emissionsverteilung von stark progressiven Vermögens- und Erbschaftssteuern oder einem Grundeinkommen?

Ich finde es gut, Reichtum zu besteuern. Außerdem müssten wir dann auch Steueroasen unterbinden. Dazu brauchen wir aber internationale Vereinbarungen. Und wahrscheinlich nutzen die Menschen, die darüber entscheiden, selbst solche Steueroasen und wollen das nicht ändern. Auch in dieser Hinsicht brauchen wir gesellschaftlichen Druck. Und dann könnte man das Geld für mehr Gerechtigkeit oder ein Grundeinkommen einsetzen.

Der Wissenschaftliche Beirat der EU für Klima hat im Juni 2023 sein Gutachten zur Erreichung der Klimaziele veröffentlicht. Darin gibt es einen Satz, der sagt, die EU habe, in gewisser Weise, ihren „gerechten Anteil am globalen Emissions-Budget“ in der Vergangenheit bereits erschöpft. Ein faires Klimaziel für die EU wäre dann ein sofortiger Emissionsstopp. Historisch ungerechte Emissionen scheinen mit noch schwerer zu thematisieren zu sein als sozial ungerechte.

Es stimmt, dass wir insbesondere in Europa und im Globalen Norden unseren Reichtum auf Ressourcen, Verschmutzung und fossilen Brennstoffen aufgebaut haben. Daher müssen wir jetzt mehr Verantwortung übernehmen, zum Beispiel mittels Technologietransfer in den Global Süden oder durch Ausbildungsprogramme. Wir können unsere Emissionen nicht von einem Tag auf den anderen auf Null reduzieren. Das ist nicht möglich. Das sollte uns aber motivieren, umso mehr zu machen und unsere Low Carbon-Infrastruktur auszubauen. Jeder muss für sich selbst überlegen, was er oder sie tun und beitragen kann. Vielleicht kann man einmal pro Woche mit dem Fahrrad fahren oder mehr laufen oder weniger fliegen und so weiter. Man kann unglaublich viel machen, auf verschiedenen Ebenen: in Gemeinden, Nachbarschaftsgruppen, am Arbeitsplatz. Man kann zusammensitzen und gemeinsam überlegen. Es gibt keine Wunderlösungen, keine Silver-Bullets-Solutions.

Wie könnte man das 1,5-Grad-Ziel gerechter ausformulieren?

Man kann auf die Verteilung schauen, darauf, welche Gruppen mehr emittieren. Und man könnte schauen, wieviel Budget übrig bleibt und wie wir es am besten verteilen könnten. Und die Reichen und die mittlere und obere Mittelschicht müssen mehr beitragen. Es geht dabei nicht immer um Verzicht. Wer ein Haus und ein Grundstück hat, kann Solarpanele auf dem Dach installieren, wer viel Land hat, sogar Windräder. Und wenn man mit dem Fahrrad fährt oder ein bisschen mehr läuft, ist das gut für unsere Gesundheit. Vielleicht treffe ich unterwegs noch Freunde – statt isoliert in einer Kiste zu sitzen. Was fehlt – und vielleicht könnte Kunst dazu beitragen –, sind Visionen von Net-Zero-Lifestyles und einer Net-Zero-Zukunft. Wie wollen wir 2050 leben, wie bewegen wir uns, welche sozialen Beziehungen haben wir? Menschen haben diese Visionen nicht, stattdessen nähren sie Angstbilder von Verzicht. Dass sie im Wald leben müssen, in Höhlen. Vielleicht könnte man mehr Menschen mit positiven Visionen überzeugen. Damit sie sich „anstecken“, mitmachen, öffnen – oder wenigstens nicht gegen den Wandel protestieren. Diese soziale Beziehungen sind auch wichtig, weil rechtspopulistische Gruppe von dieser Angst vor Änderungen profitieren. Könnte man zeigen, dass man für ein nachhaltiges Leben vielleicht nicht so viel Geld braucht und dafür wieder mehr Kontrolle über sein Leben hat, mehr Zeit für sich, für seine Familie, dann kann man vielleicht mehr Menschen mitnehmen. 

Graz, 01.07.2023

Interview: Thomas Wolkinger

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