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Die Gespensterwelt der Warenwelt
Peter Weibel
Ausstellung „Leibstandarte Realität“, Bernhard Wolf, Neue Galerie Graz, 2000
Bernhard Wolf beschäftigt sich wie seine Plakatprojekte seit 1993 belegen, seit Jahren mit einer bestimmten Klasse öffentlicher Zeichen, die wir Ikonen der Reklame nennen können. Bei seiner zeichnerischen Verarbeitung der Maskottchen, welche die Mythen des Alltags formieren, werden ideologische und kommunikative Strategien nicht nur der Warenwelt, sondern auch der Politik als Topoi bloßgelegt. Die Serie von 27 Motiven im immer gleichen Format (110×85 cm) und in der immer gleichen Technik (Acryl auf Leinwand) ist die visuelle Extraktion jener standardisierten Figuren, zu denen im Zeitalter der Massenmedien politische Allegorien verkommen. Diese Charaktere des öffentlichen Lebens, welche viele Menschen von Jugend an begleiten, von Helmi über Sparefroh bis Amanda Klachl, entsprechen nicht realen Menschen, sondern existieren nur virtuell, aber ihre ideologische Funktion ist real. Im Computerjargon würden wir sie Avatare des öffentlichen Bewußtseins nennen.
Nach den drei klassischen Zeichenkategorien Ikone, Index, Symbol regiert heute eine neue Zeichenklasse, die sich auf die Welt der Waren bezieht, die sogenannten Logos. Beim Index herrscht bekanntlich zwischen dem Zeichen und dem Gegenstand, auf den es referiert, eine physikalische Beziehung, z. B. Rauch ist ein Zeichen von Feuer. Beim ikonischen Bild herrscht zwischen dem Zeichen und dem Gegenstand eine visuelle Ähnlichkeit. Beim Symbol herrscht zwischen den Zeichen und dem von ihm bezeichneten Gegenstand eine willkürliche Beziehung, so daß die Bedeutung nur durch soziale Konventionen und Kodierung fixiert werden kann. Zwischen dem Warenzeichen und seiner Ware wird die semantische Beziehung durch kodierte Beliebigkeit hergestellt. Ein Logo kann einem Gegenstand jede Bedeutung aufdrücken, z.B. eine Zigarette für Freiheit stehen. Die standardisierte Kodierung der industriellen Produktion von Bedeutung, wie sie in der Warenwelt herrscht, verdankt ihren Erfolg gerade jenem sanften Kontinuum von infantilen Leitfiguren, wie dem Haribo-Goldbärchen, bis zur politischen Leitfigur wie Herr Strudl in der Kronen-Zeitung. Die Normen und Codes einer standardisierten Realität, die unter dem Diktat einer herrschenden Klasse steht, werden gerade durch diese scheinbar sanften Zeichen errichtet. In der frühkindlichen Gewöhnung an die Warenwelt als der eigentlichen Welt, wie es gerade das explizite Ziel jener Anthropomorphisierung von Waren und ihren ideologischen Funktionen ist, wird jener Mix von Medien, Politik und Warenwelt angelegt, den der Erwachsene nicht mehr auseinanderhalten und entketten kann.
Der Sparsinn wird anthropomorphisiert durch das Sparefroh-Männchen, sowie die Ware einer Firma durch das Michelin-Männchen anthropomorphisiert wird. Der Sauberkeitsssinn wird durch Meister Proper ebenso vermenschlicht wie die Ware einer Firma durch den Cosy-Panther. Toilettenpapier, Spülmittel und menschliche Eigenschaften werden gleichgeschaltet, werden gleichermaßen in den Dienst der Konsumption gestellt.Das ist der Zweck der Anthropomorphisierung der Ware: der Ware selbst dem menschlichen Charakter zu geben, den sie nicht hat. Marx nannte dies die Fetischierung der Warenwelt. Maresi-Mädchen und Bic-Männchen sind also Fetische. Sie geben sich freundlich, nett, einladend, optimistisch. In Wirklichkeit verhexen sie den Verstand und machen uns zu Leibeigenen der Warenwelt. Die visuellen Ikonen des Alltags, die Wolf uns vorführt, sind die sanften Ketten, mit denen uns die Politik und die Warenindustrie an die von ihnen konstruierte Realität fesseln.
Im Gegensatz zur amerikanischen Pop-Art, welche die Zeichen der Warenwelt affirmativ ästhetisiert und damit die Konsumption bejubelt, steht Wolf in einer kritischen Tradition der europäischen Pop-Art, welche an die Logo – Kultur die klassische Frage stellt „What makes it so appealing?“ und damit die Konsumkultur analysiert und kritisiert. Wolf zeigt uns die Gespenster der Warenwelt, die Logos, die heute von der Unterhose bis zum Mantel, vom Schuh bis zur Suppendose (Campbell), den menschlichen Leib als Besatzungsmacht kolonisieren. Obwohl sie scheinbar so freundlich daherkommen, sind die populären Figuren, welche die menschlichen Eigenschaften mit Eigenschaften von Waren vermischen, gerade deswegen so gefährlich und bedeuten in Wirklichkeit einen „unfriendly take-over“ des Menschen durch die Warenwelt. Wolf zeigt uns den Horror, der hinter den infantilen Zeichensystemen der Konsumkultur verborgen ist, er zeigt uns damit den Infantilismus der Konsumkultur, die „Infantilgesellschaft“ (Elfriede Jelinek).
Peter Weibel, Vorstand des ZKM | Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe