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Lieber Bernhard!
Markus Waitschacher
Lieber Bernhard!
Briefe sind irgendwie altmodisch. Öffentlich gemachte erst recht. Ein Brief steckt voller Ungewissheiten, Zweideutigem und Überraschungen. Das sind alles zusammen Eigenschaften die nicht mehr so sehr geschätzt werden. Einen abgeschickten Brief kann man nicht mehr löschen, einen bereits veröffentlichten nur noch schwer verheimlichen. Posthum wird überhaupt der größte Unsinn damit getrieben. Und das in erster Linie, weil der direkte Draht zu den Briefschreibenden zwar bestenfalls emotional funktioniert, sich sprachlich direkt jedoch eher holprig gestaltet. Und doch, wir dürsten nach dem Holprigen. Wir wollen keine politischen Subjekte, die ihre felsenfesten Meinungen in den öffentlichen Wind hauchen, keine eindeutigen Werbe-Parolen, sondern das Vage, das Unbewusste, das Mehrdeutige. Wir wollen Briefe, die uns berühren, und gleichzeitig etwas ratlos zurücklassen.
Das bringt mich zu Deiner künstlerischen Praxis. Die besteht zwar nicht aus langen, elegischen Abhandlungen, aber doch aus einem größeren Wagnis. Deine Arbeiten im öffentlichen Raum stehen irgendwo zwischen Graffiti, Werbetext und der totalen Verweigerung all dessen.
Ich denke beispielsweise an Deine Arbeit TRAUM (2013), als Du eben dieses Wort, aber auch einen Computer-Ladebalken auf die Unterseite eines verlassenen Tankstellendaches appliziertest. Die Tankstelle sichtbar, sichtbar verlassen, aber auch, klarer weise sichtbar für den vorbeifahrenden Verkehr der Liebenauer Hauptstraße in Graz. Deine Symbole, icons, Quasi-Ikonen, wie sie Judith Laister einmal in Anlehnung an Bruno Latour nannte, sie sind uns unbewusst sehr vertraut, denke ich mir, und gleichzeitig zeugen sie von spröder Fremdheit. Sie schließen entweder etwas sehr lokales in sich ab oder öffnen einen utopischen Horizont in ihrer Verbindung aus Gegebenem und äußerst Fremden.
„Ich komme von der Erde und habe gute Absichten“ – lautet ein weiteres Deiner Statements, die Du in die Welt aussetzt. Aussetzen, weil Du sie der Öffentlichkeit aussetzt, die verschieden damit umgeht. Da wurde in Russland ebendiese Textarbeit von Dir aufgenommen, rezikliert und weiterverarbeitet. Deine Ikonen sind ab und an flüchtig, tauchen auf und wieder unter, des öfteren aber durchwegs permanent am öffentlichen Irritieren.
Warum eigentlich irritieren? Der öffentliche Raum ist doch voller Botschaften, Zeichen und Symbole. Auch wenn wir die meisten von ihnen nicht verstehen, verstehen wir sie doch genau zu lesen. Ich wusste längst nicht, was das Hinweisschild § 53/4: „Pannenhilfe” darstellen soll, jedoch ganz genau, was es bedeutet. Genau so verhält es sich mit den meisten Geboten und Verboten im öffentlichen Raum, aber auch mit der anderen Bilder- und Symbol-Überschwemme, der Werbung.
Deine Intervention im öffentlichen Raum von Klagenfurt, FETE BLANCHE (2017), wird beispielsweise von vielen Menschen als Werbung für dieses Wörthersee-Event verstanden. In einer Baulücke, Stadt-einwärts, wird die Verwendung dieser Marke bereits als branding wahrgenommen und als Werbung gelesen. Das spricht Bände. Können wir Botschaften im öffentlichen Raum überhaupt (noch) als Nicht-Werbung verstehen? Wo doch eine politische Botschaft längst schon primitiver als jede Waschmittelwerbung rüberkommt?
Ich schließe einen holprigen Brief mit Horaz, eigentlich Quintus Horatius Flaccus, wie mir wikipedia erklärt, dessen hintersinnigen Humor man vermutlich auch nicht immer verstanden hat:
„Deine Sache wird gefährdet, wenn das Nachbarhaus brennt.“
Markus Waitschacher
Freier Kurator
Kunstvermittler am Universalmuseum Joanneum, Österreich